Predigt in St. Ludwig, Berlin, Ludwigskirchplatz, am Palmsonntag, 13.04.2025 um 18:30 Uhr:
(Nachschrift der frei gesprochenen Ansprache)

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Eigentlich ist die Passionsgeschichte  d i e  Verkündigung des Palmsonntags und eine Predigt ist eigentlich nicht nötig. Aber die Reihe der Fastenpredigten an den Sonntagabenden der vergangenen Wochen wäre unvollständig, wenn wir nicht auch das letzte Wort bedenken würden: „Vater in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Und zurecht, liebe Schwestern und Brüder, haben wir danach geschwiegen, haben uns hingekniet zum Gebet. Weil bei dem, was wir nicht wirklich erfassen können: da bleiben nur das Schweigen und die Anbetung.

Aber vielleicht ist es uns ja doch gestattet, an diesem Abend im Zusammenhang der Fastenpredigten, ein wenig auf dieses letzte Wort Jesu einzugehen. Und es sind zwei Aspekte, die ich bedenken möchte: Zum einen die Anrede: Vater. Jesus hat aramäisch gesprochen und ABBA gesagt, was so viel wie „Papa“ bedeutet. Es ist die persönliche, vertrauensvolle Anrede von Kindern ihrem Vater gegenüber: Abba – Vater. Sonst hat Jesus den himmlischen Vater auch anders angesprochen, aber hier kehrt er wieder zu dieser originären, vertrauensvollen Ansprache zurück. Das ist sein himmlischer Vater, der für ihn sorgt, der für alle Menschen sorgt, so dass Jesus ihnen sagen konnte: „Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt, euer himmlischer Vater sorgt für euch!“

Liebe Schwestern, liebe Brüder, der heilige Paulus hat lange gebraucht, bis er das erkannt hat. Wir haben’s in der zweiten Lesung, der neutestamentlichen Lesung aus dem Philipperbrief gehört: „Jesus Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ Und Gott hat ihn erhöht und über alle Namen verherrlicht. Das ist, so sagen uns die Bibelwissenschaftler, schon ein von Paulus vorgefundener Hymnus, ein vorgefundenes Lied, das die junge Christenheit gesungen hat. Wir kennen keine Melodie wir kennen die früheste Vertonung dieses Textes aus dem 9. Jahrhundert als lateinischen, gregorianischen Gesang. Aber wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über. Und die junge Christenheit war so überzeugt von der Auferstehung Jesu Christi, dass sie das gefeiert hat, im Gottesdienst und im Leben.

Und die Christenheit insgesamt, die ganze Kirche, hat noch länger gebraucht, bis sie das begriffen hat. Wir feiern in diesem Jahr das 1700-jährige Jubiläum des ökumenischen Konzils von Nicäa. Auf ihm wurde das erste Glaubensbekenntnis formuliert. Wenn natürlich nicht auch schon neutestamentliche Äußerungen als Glaubensbekenntnis verstanden werden können, etwa wenn Petrus etwa sagt: „Du bist der Messias!“, ist das auch ein Glaubensbekenntnis. Aber das, was wir heute drunter verstehen, dass da ein Text formuliert, was unser Glaube als Christinnen und Christen ist, das ist tatsächlich zum ersten Mal erst im Jahre 325 passiert. Und da ist grundlegend nach dem Verhältnis zwischen Jesus und dem himmlischen Vater gefragt worden. Wer ist das eigentlich, dieser Jesus von Nazareth, für den in den vergangenen Jahrhunderten viele Menschen in den Tod gegangen sind, weil sie von römischen Imperator – wie Jesus von Pilatus – verfolgt und getötet worden sind? Und dann kommt diese Formulierung heraus, die ihnen allen geläufig ist: er ist Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. Jesus hat ein einmaliges, ganz besonderes Verhältnis zum himmlischen Vater, in dem können wir ihn nicht einholen. Und deswegen, weil er so aufs innigste mit dem himmlischen Vater verbunden ist, kann er quasi nicht im Tod bleiben. Auferstehung ist dann einfach die realisierte Nähe zu Gott, dem himmlischen Vater. Auferstehung  i s t dieses neue Leben, in das Jesus gerufen worden ist und in das wir gerufen werden sollen.

Und dann zitiert Jesus Psalm 31: „In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist!“ Das haben – natürlich – auch im Alten Bund, im Alten Testament schon Menschen realisiert. Und dieser Psalm des Vertrauens: Allen irdischen Widerwärtigkeiten zum Trotz vertraue ich darauf, dass Gott uns schützen wird, dass er uns leiten wird. Das ist am Anfang des Alten Bundes noch nicht im Sinne eines ewigen Lebens verstanden worden, sondern als Gottes Schutz hier und jetzt, in den kriegerischen Auseinandersetzungen des Volkes Israel mit seinen Nachbarn etwa. Aber Jesus versteht es – und wir dürfen es verstehen – als Hinweis, Hoffnung und Erwartung auf das ewige Leben. Dieser zweite Teil des Jesuswortes: „Vater, in deine Hände gebe ich meinen Geist!“, drückt eben dieses Vertrauen aus.

Und wenn wir als Christinnen und Christen versuchen, Jesus nachzufolgen, dann ist das die große Herausforderung unseres Lebens. Schaffen wir das, dass auch wir so vertrauensvoll sind, dass wir dieses Wort im Angesicht unseres „dem-Tode-Verfallen-Seins“ sprechen können?

Ich möchte mit einer persönlichen Begebenheit schließen. Als vor 15 Jahren meine Mutter im Sterben lag, wurden wir Kinder von den Ärzten an ihr Krankenbett gerufen. Der Arzt erklärte uns, dass der Sterbeprozess unwiderruflich eingesetzt habe. Und sie hätten sie – wie wir ja wüssten – seit 14 Tagen mit Sauerstoff beatmet, so wie jetzt auch Papst Franziskus mit Sauerstoff beatmet worden ist. Und sei hätten in den 14 Tagen den Druck immer weiter erhöhen müssen, damit die Lungen überhaupt noch Sauerstoff aufnähmen. Und jetzt seien sie an eine Grenze gekommen. Je weiter sie den Druck jetzt noch erhöhen, umso mehr würden sie die Bronchien schädigen. Es sei unsere Entscheidung, da eine Willensäußerung von unserer Mutter nicht vorliege – sie hatte keine Patientenverfügung gemacht – jetzt müssten wir entscheiden, ob die Apparate weiterlaufen sollten oder abgeschaltet werden. Meine Geschwister und ich waren zunächst erschrocken, dass wir, die Kinder, eine solche Entscheidung treffen müssen. Und dann haben wir einen Moment miteinander gesprochen, uns ausgetauscht, über unseren Glauben an Gottes Jenseits, und haben dann gesagt, wir können Mutter voller Vertrauen in Gottes Hände geben. Denn bei ihm wir sie geborgen sein, bei ihm wird sie das Leben haben, das sie in dieser Welt nicht mehr haben konnte.
Und so, glaube ich, ist es für uns alle die Herausforderung unseres Lebens, dass wir erkennen, ob wir vertrauensvoll unser Leben abgeben, loslassen können, weil wir wissen, vom Glauben her wissen: „Vater in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Amen.